In der letzten Ausgabe des Kirchhainer Anzeigers hatten wir angekündigt, dass wir über das „Schicksal des Elefanten Jack“ berichten werden.
Hier die doch sehr dramatische Geschichte des Zirkustieres, dessen Leben in der Stadt Kirchhain sein Ende fand.
In der Borngasse befand sich früher das Gasthaus „Zum Goldenen Hirschen“. Eine Gastwirtschaft mit einer traditionsreichen rund 200jährigen Geschichte, die ihr Ende fand, als das Gebäude im Jahr 1926 zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut und der Bewirtungsbetrieb eingestellt wurde.
In die Zeit des Gaststättenbetriebes fällt auch jenes Ereignis, das den „Goldenen Hirschen“ und Kirchhain weit über die Grenzen des damaligen Kurfürstentums Hessen-Kassel bekannt machten – gemeint ist die Erschießung des Zirkus-Elefanten „Jack“ im Jahre 1863.
Der um 1840 in Indien geborene Elefantenbulle „Jack“ war seit 1855 Zirkuselefant und trat mit dem Wander-Menagerie-Betrieb von Andreas Grubhofer (nicht „Anton“, wie gelegentlich berichtet) auf, der ursprünglich aus Innsbruck stammte.
Grubhofers Betrieb war in Chemnitz ansässig und präsentierte eine Mischung exotischer und außergewöhnlicher Tiere, wie Zwergponys, „possierlichen Waschbären“ bis hin zu Schlangen und Großkatzen – das belegen Anzeigen in der Lokalpresse zahlreicher Orte, wo Grubhofer gastierte. Die Liste dieser Orte ist lang, so trat er in Sachsen, Hessen, Schwaben und der Schweiz auf. Im Gegensatz zu den meisten Tieren, die lediglich zur Schau gestellt wurden, bildete der „Königselefant Jack“ eine Ausnahme. Er begeistere sein Publikum durch zahlreiche Dressur-Kunststücke, die ihm sein englischer Dompteur beigebracht hatte.
Auf dem zeitgenössischen Plakat ist der stattliche Jack zu sehen, der mit einer Schulterhöhe von nahezu 3 m, einer Länge von 5 m, einem Gewicht von 4,3 t und 1,70 m langen Stoßzähnen für einen indischen Elefanten außergewöhnlich groß war. Auf mehreren Einzelbildern wurde für Jacks Können geworben, so konnte er Horn blasen, zum eigenen Mundharmonikaspiel marschieren, eine Pistole abfeuern, als Hausmädchen verkleidet den Boden wischen, Dinge mit dem Rüssel anrichten und auf ein Zeichen seines Dompteurs auf zwei Beinen balancieren.
Anfang Februar 1863 gastierte „Jack“ in Marburg auf dem Schuhmarkt, um dann nach Kirchhain zum nächsten Gastspielort weiterzuziehen. In einem Zeitungsartikel der Oberhessischen Zeitung von 1933 wird behauptet, dass Jack schon in Marburg „wild“ geworden sei und getötet werden sollte, jedoch die örtlichen Behörden nicht zustimmten, worauf man nach Kirchhain weiterzog. Ob dies der Realität entspricht ist fraglich. Die meisten Berichte gehen von folgendem Szenario aus:
Der Menagerie-Betrieb erreichte Kirchhain am 13.Februrar 1863. Jack legte den Weg stets in seinem Treibwagen zurück, der keinen Boden hatte, in dem er selbst laufen musste und der von Pferden gezogen wurde. Im Innenhof des Gasthauses „Zum goldenen Hirschen“ wurde Jack zunächst untergebracht. Sein Dompteur, der erst seit kurzem von einer Beinverletzung genesen war, vermochte es nicht den mächtigen Elefantenbullen zu beruhigen, der offensichtlich in „Musth“ geraten war, einen zeitlich begrenzten Zustand erhöhter Ag-gressivität in Folge hormoneller Schwankungen. Jack begann seinen Käfig zu zertrümmern. In bereits erwähnten Zeitungsartikel wird berichtet, dass man auf der Außenwand des Treibwagens die Stelle markierte, wo sich Jacks Kopf befand, um Gewehrschützen das Ziel zu markieren. In anderen Berichten wird geschildert, dass Jack zunächst seinen Käfig zertrümmerte, um kurz darauf im Innenhof des „Golden Hirschen“ herumzutoben.
Heute wüsste man sicher, anders mit dieser Situation umzugehen - damals stand man allerdings der Aggressivität des Elefanten hilflos gegenüber. Der tobende Elefant hatte sich schnell herumgesprochen und so versammelten sich schon bald eine Menge Schaulustige beim „Hirschen“. Auf der angrenzenden Mauer und auch am Scheunendach, wo man die Ziegel entfernte, positionierten sich die Schaulustigen, um den besten Blick auf den tollen Elefanten zu erhaschen.
Rasch hatte er den ganzen Wagen zertrümmert, warf mit seinem Rüssel Bretter und Balken in die Luft und rannte im Hof herum. Zunächst versuchte man Jack durch die Gabe von Betäubungsmitteln zu beruhigen. Nach einiger Zeit gab jedoch der Besitzer sein Einverständnis, das wertvolle Tier töten zu lassen. Man besorgte zunächst Strychnin aus der Apotheke Jung, um dieses in Brötchen dem Tier vorzuwerfen. Jack verschlang einige derselben, ohne ein Zeichen der Schwäche zu zeigen, so entschloss man sich, das Tier zu erschießen. Jäger aus der Umgebung versammelten sich und positionierten sich auf den Dächern und Mauern des Anwesens des „Goldenen Hirschen“. Ziel war es vor allem, seine Augen und seinen Schädel zu treffen. Über 130 Kugeln wurden aus Vorderlader-Gewehren abgefeuert. Von den heute noch 15 nachzuweisenden Schädeltreffern erreichten nur wenige das Gehirn, die meisten blieben im pneumatisierten Schädelknochen stecken. Es muss ein grausames Schauspiel gewesen sein, als der gleich zu Beginn des Feuers seiner Seh-kraft beraubten Elefanten, orientierungslos, stark blutend und völlig verängstigt im Hof herumtobt. Die „Hessische Morgenzeitung“ (Kassel) beschrieb das Geschehen am 22. Februar 1863 folgendermaßen:
„Das riesige Thier schien diesen Angriff gar nicht zu beachten, obgleich ihm beide Augen zerschossen waren. Es wurde nun in kurzen Zwischenräumen an 2 Stunden lang darauf gefeuert, wobei immer die Augen, die Gegend über den Augen und die Schläfengegend zum Ziel genommen wurde. Eine in die Stirn eindringende Kugel lähmte alsbald seinen Rüssel. Oft brach er nach hinten und nach den Seiten hin zusammen, richtete sich aber immer wieder auf. Nach und nach hatte er den Wagen zertrümmert und wankte nun, nachdem er an 100 Kugeln erhalten hatte, bluttriefend mit letzter Kraftanstrengung auf dem Hofe einher. Da das Thier seiner Augen beraubt war, so konnten einige Schützen ohne Gefahr in seine Nähe treten. Noch einige gut angebrachte Schüsse und der Koloss stürzte unter dem Bravoruf der umherstehenden Menschenmenge zusammen.“
Nur zögernd wagten sich die ersten Mutigen in den Innenhof des Gasthauses, um das tote Tier näher in Augenschein zu nehmen. Als der Tod schließlich einwandfrei feststand, gab es kein Halten mehr. Hunderte strömten in den Hof, der die vielen Schaulustigen kaum fassen konnte. Noch einige Tage lag Jack im Hof des „Goldenen Hirschen“, bis die Universität Marburg den Kadaver für 1000 Taler erwarb, abtransportierte und im Anatomischen Institut präparierte. Nach dem Aufbau des Skeletts und der späteren langjährigen Einlagerung wurde es letztlich im Nordfoyer des Fachbereichs Biologie auf den Lahnbergen im Jahr 2002 wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Text: Harald Pausch