Letzte Woche besuchten Tom Schaumberg und sein Sohn Steven Kirchhain den Ort ihrer Vorfahren. Für die Familie von Tom Schaumberg wurden im Jahr 2019 Stolpersteine verlegt. Damals war Tom mit seinem Bruder Peter zu Besuch; diesmal kam sein Sohn Steven mit.

Der 84jährige Amerikaner nahm anlässlich seines Besuchs in Deutschland an der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen teil. Dort war er während des Zweiten Weltkrieges mit seiner Familie fast anderthalb Jahre gefangen. Anschließend führte sein Weg nach Kirchhain.

Bürgermeister Olaf Hausmann ließ es sich nicht nehmen, die beiden Besucher aus den USA persönlich zu begrüßen. Gemeinsam mit Lehrerinnen und Schülern der Alfred-Wegener-Schule sowie der Vorsitzenden des Heimat- und Geschichtsvereins Kirchhain Kerstin Ebert traf er sich mit ihnen im Bürgersaal des Rathauses, wo Tom Schaumberg über seine Familie und deren Geschichte berichtete.

Seit 2015 werden in Kirchhain Stolpersteine verlegt

Stolpersteine seien eine tolle Erfindung. „Sie erwecken die Toten nicht wieder zum Leben, aber sie wecken die Erinnerungen an sie und halten sie am Leben. Es ist wichtig, dass die Geschichten der Menschen erzählt werden,“ erzählt er. Und zitiert aus der Inschrift eines Gebäudes aus Washington: „Diejenigen, die nicht aus der Geschichte lernen, sind dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“

„Ich war damals knapp fünf Jahre alt, als wir in Bergen-Belsen inhaftiert waren. Deswegen werde ich selbst nicht von den Bildern der Vergangenheit verfolgt. Wahrscheinlich war ich zu jung, als dass dies einen Einfluss auf mich hätte haben können“, sagt Schaumberg und ergänzt, sich noch an den Anblick toter Menschen und Skelette und an den Hunger im KZ zu erinnern: „Aber meine Eltern haben mich beschützt – deswegen sind meine Gedanken wahrscheinlich nicht so extrem.“ Bei einem Freund, dessen Vater „Schreckliches“ erlebt habe, sei das anders.

Sowohl er als auch seine Eltern haben nie Schlechtes über Deutschland gesagt. Die Erinnerung an Deutschland seien vielmehr Literatur und Musik nicht aber Wut oder ähnliches.

Neben dem Besuch im Rathaus waren Tom und Steven Schaumberg auch mit den Lehrerinnen und Schülern der Alfred-Wegener-Schule unterwegs. Bei einem Zeitzeugengespräch mit dem Leistungskurs Geschichte berichtete Tom eindrücklich von der Flucht seiner Familie aus Nazideutschland, der Deportation von Amsterdam nach Westerbork und ins KZ Bergen-Belsen. Seine Erinnerungen an das Leben im KZ und besonders an die Umstände der Befreiung des "verlorenen Zuges von Tröbitz" teilte er offen mit den Schülern. Diese interessierte aber auch, wie sich Toms Familie in den USA ein neues Leben aufbaute und wie Sohn Steven als "waschechter Amerikaner" auf die Familiengeschichte blickt.

Außerdem standen ein Besuch des jüdischen Friedhofs, des Monuments “Archiv” und eine Stadtführung, der Besuch des kleinen Dachmuseums von Harald Pausch sowie ein Ausflug nach Schweinsberg, woher Toms Großvater Adolf stammt, auf dem Programm.

Tom Schaumberg lobte das Engagement der Mitglieder der Stolperstein-AG der Alfred-Wegener-Schule, des Heimat- und Geschichtsvereins Kirchhain und von Bürgermeister Olaf Hausmann und dankte für die liebevolle Betreuung während seines Besuchs.

Die Familiengeschichte der Familie Schaumberg

Adolf Schaumberg (geb. 1878) wuchs in Schweinsberg auf und zog 1905 mit Fanny Heilbrunn nach Kirchhain in die Niederrheinische Straße. Er betrieb einen kleinen Viehhandel. Das Paar bekam zwei Kinder, Ernst und Gertrude. Ernst absolvierte ab 1922 eine kaufmännische Ausbildung. 1936 heiratete er die aus Oldenburg stammende Gertrud Cäcilie Leda, am 29.05.1938 kam ihr Sohn Tom zur Welt. Als das Unternehmen Wertheimer 1938/39 „arisiert“ wurde, wurde Ernst Mitbegründer der kleinen Textilfirma „Harry Stern & Co“ in Amsterdam. Seine Schwester Gertrude heiratete 1935 Ernst Ludwig Spiegel.

Nach erzwungener Aufgabe ihres Geschäfts zogen Fanny und Adolf im März 1938 zu ihrer Tochter, wo Adolf im Dezember 1938 verstarb. Im Mai 1939 flohen Fanny und Familie Spiegel nach Amsterdam zu Ernst. Gertrude starb 1967; ihr Mann Ernst 1972.

Nach der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 waren die in Amsterdam Zurückgebliebenen wieder der Naziverfolgung ausgesetzt: 1941 wurde Ernsts Geschäft geschlossen, das Vermögen beschlagnahmt. Fanny Schaumberg wurde am 20.06.1943 im Durchgangslager Westerbork interniert und von dort ins Vernichtungslager Sobibor in Polen deportiert. Dort wurde sie am 16.07.1943 ermordet.

Ernst wurde im Juli 1943 in Westerbork interniert, Gertrud und der 4jährige Tom im Oktober 1943. Alle drei wurden im Januar 1944 ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Unter den widrigsten Bedingungen überlebten sie dort, bis sie am 11.04.1945 in einem Transportzug Richtung Theresienstadt geschickt wurden. In den Wirren der letzten Kriegstage blieb der Zug bei Tröbitz in Sachsen stehen und wurde am 23.04.1945 durch die Rote Armee befreit. Familie Schaumberg wanderte im Dezember 1946 in die USA aus. 1950 bekamen Ernst und Gertrud ihren zweiten Sohn Peter.